Schriftspracherwerb und Legasthenie

In Österreich werden für Legasthenie auch die Begriffe Lese-Rechtschreibstörung/Lese- Rechtschreibschwäche synonym verwendet. Sehr wohl unterscheiden sich diese Begriffe aber in der Diagnostik und beispielsweise in Deutschland.

Das Erlernen der mündlichen Sprache verläuft bei den meisten Kindern eher mühelos. Anders schaut es beim Erwerb der Schriftsprache aus, denn diese kann für manche Kinder eine große Herausforderung bedeuten. Bereits in jungen Jahren werden sie mit graphischen Schriftzügen konfrontiert. Denken Sie nur an die Logos, die schon im Kleinkinderalter erkannt werden. Im Kindergartenalter entwickelt sich dann die phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn. Das bedeutet, Kinder können reimen (Hose-Dose) und Wörter in Silben (Ro-se) klatschen. Mit dem Eintritt in die Schule entwickelt sich die Phonologie im engeren Sinn. Es kann zum Beispiel die Position eines Lautes im Wort erkannt und bestimmt werden. Um Lesen und Schreiben zu lernen, ist die phonologische Bewusstheit Voraussetzung, denn diese bietet uns den Einblick in die Lautstruktur der gesprochenen Sprache. Eine Schwäche hierin könnte ein Hinweis auf eine mögliche Erscheinungsform (= Symptom) der Lese- Rechtschreibschwäche/Legasthenie/Lese-Rechtschreibstörung sein.

Schwierigkeiten in der Rechtschreibung stellen ein weiteres Symptom dar. Dies kann von Beginn an, aber auch erst später auftreten. So werden beispielsweise Buchstaben verwechselt, ausgelassen und/oder deren Schreibweise vergessen. Die Orthographie (= Rechtschreibung) bereitet den Kindern Schwierigkeiten und ein noch so oft geübtes Wort wird immer wieder falsch geschrieben. Auch im Jugend- und Erwachsenenalter gibt es immer noch auffallend viele Regelfehler.

Es könnte auch sein, dass Ihr Kind oder Sie beim Schreiben keine Schwierigkeiten haben, dafür ist aber das Erlernen des Lesens sehr mühsam. Buchstaben können zum Beispiel nicht den richtigen Lauten zugeordnet, Laute nicht zu einem Wort zusammengefügt werden, das Lesen gelingt nur stockend und die Geschwindigkeit ist langsam. Um diese zu steigern, werden Wörter erraten und Endungen weggelassen. Das sinnerfassende Lesen, das Verstehen des Wortes, des Satz- oder Textinhaltes sind vielleicht gar nicht oder nur unzulänglich möglich.

Eine Lese- Rechtschreibschwäche/Legasthenie/Lese-Rechtschreibstörung zeigt ein unterschiedliches Erscheinungsbild. Um effektiv fördern zu können, ist das Erstellen eines Therapieplans notwendig. Dieser setzt eine umfassende Abklärung (Diagnose) voraus. Aus meiner langjährigen Erfahrung weiß ich, dass betroffenen Personen, unabhängig vom Alter, geholfen werden kann.

Definition Legasthenie

Mit dem Begriff „Legasthenie“ – in der Fachwelt wird korrekterweise von „Lese-/Rechtschreib-Störung“ (LRS) gesprochen – wird eine Störung bezeichnet, die durch ausgeprägte und nachhaltige Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und/oder des Rechtschreibens gekennzeichnet ist. Die Legasthenie ist dabei nicht Folge unzureichender Beschulung, einer Intelligenzminderung oder einer psychischen oder neurologischen Krankheit. Außerdem müssen gravierende Hör- und Sehprobleme als möglicher Grund für das Vorliegen der Schwächen beim Lese- und/oder Rechtschreiberwerb ausgeschlossen werden. Die Lese-Rechtschreibstörung stellt eine isolierte Störung des Schriftspracherwerbs dar.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat diese Beeinträchtigung, die es in allen lautsprachlichen Schriftsystemen der Welt gibt, in ihren Krankheitskatalog, dem Internationalen Klassifikationsschema psychischer Störungen (ICD-10, Dilling et al 1991) aufgenommen und zählt die Lese-Rechtschreibstörung zu den umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten (F81). Das ICD-10 unterscheidet zwischen einer „Lese- und Rechtschreibstörung“ und einer „Isolierten Rechtschreibstörung“. Auch im Erwachsenenalter wächst sich eine Legasthenie nicht aus!

In der Literatur werden die Begriffe „Lese-Rechtschreib-Schwäche“, „Lese- Rechtschreibstörung“ und „Legasthenie“ oftmals synonym verwendet. In Fachkreisen spricht man bei der Lese-Rechtschreibschwäche von einer abgeschwächten Form des störungswertigen Bildes.

Um eine LRS nach ICD-10 diagnostizieren zu können, ist eine umfangreiche Abklärung erforderlich. Ein ausführliches Anamnese- und Explorationsgespräch ist Voraussetzung. Die Diagnostik beinhaltet u.a. eine Intelligenzdiagnostik und die Durchführung von standardisierten Lese – und Rechtschreibtests. Je früher Kinder mit Auffälligkeiten beim Lese-Rechtschreiberwerb diagnostisch abgeklärt werden (bereits ab Kindergartenalter, idealerweise 1. Klasse Mitte), desto besser. Erst Mitte/Ende der 2. Klasse Grundschule wird diagnostiziert, ob tatsächlich der Ausprägungsgrad einer Lese-Rechtschreibstörung oder –schwäche vorliegt. Vorher spricht man vom „Kind mit Risiko für die Entwicklung einer LRS“. Eine LRS – Diagnostik erfordert einschlägiges Fachwissen und darf somit nur von speziell ausgebildeten Fachkräften durchgeführt werden.
www.lrs-therapeuten.org